Integrationskurse - großzügige Unterstützung im zu starren Rahmen?
Wer nach Deutschland kommt, braucht die deutsche Sprache. Das bleibt nach wie vor unumstritten. Ohne ausreichende Deutschkenntnisse sind das selbständige Leben in Deutschland und die Integration in den Arbeitsmarkt fast unmöglich. Um sicherzustellen, dass alle Neuzugwanderten über eben diese Kenntnisse verfügen, hat der deutsche Staat ein sehr großzügiges Konzept entwickelt: Integrationskurse für alle.
Die Statistiken zeigen jedoch, dass diese Kurse nicht besonders erfolgreich sind. Laut des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BaMF) hat im Jahr 2017 nicht mal die Hälfte (48,7%) der Teilnehmer*innen den Sprachtest für das Niveau B1 bestanden, das ausreichen soll, um im deutschen Alltag klarzukommen. 40,8% der Teilnehmer*innen schafften nur das Level A2 und die übrigen 10,5% nur A1 oder weniger. Woran liegt es, dass sie unter den Erwartungen bleiben? Liegt es an der Motivation, oder gibt es vielleicht andere Gründe?
„Dass Teilnehmer*innen den Unterricht schwänzen und die viele demotiviert sind, ist bei uns ein Dauerzustand“, so Lina Zimmer (Name von der Redaktion geändert), Lehrerin bei einem kleinem Träger in Berlin-Neukölln, gibt dabei jedoch zu bedenken: „Da wir ein kleiner Träger sind, haben wir keine Kapazitäten, die Schüler*innen richtig einzustufen. In der Regel zählen die Gruppen mehr als 20 Personen, die aus völlig unterschiedlichen sozialen Kontexten kommen. Es sitzen ausgezeichnet ausgebildete junge Menschen neben Personen, die frisch aus dem Alphabetisierungskurs kommen und Teilnehmer*innen, die ihr ganzes Leben lang Handwerk betrieben haben und zwar lernen wollen, aber über gar keine Lerngewohnheiten verfügen. Unter diesen Umständen können die einen ihre Flügel nicht richtig ausbreiten und die anderen fühlen sich einfach frustriert, weil sie nicht in der Lage sind, mitzuhalten“.
Außerdem seien alle gleichermaßen vom bürokratischen Druck der Behörden betroffen. Unzählige Briefe, Fristen und Termine stellen für viele neben dem Stress der Wohnungssuche und privater Angelegenheiten eine enorme Überforderung dar. Das System in Deutschland ist selbst für Personen, die hier aufwachsen, eine Herausforderung. Für viele neu Zugewanderte ist es zudem neu und kompliziert. Wenn dazu noch 5 Stunden Deutschkurs täglich kommen, für den sie noch Hausaufgaben erledigen müssen, wird es ziemlich viel. Samreen, eine junge pakistanische Mutter, die seit sechs Monaten in Deutschland lebt, kann davon ein Lied singen: „Als ich den Kurs angefangen habe, ging mein Sohn noch nicht in die Kita. Ich musste ihn also bei Bekannten und Verwandten unterbringen, was nicht so einfach war, weil sie ihre eigenen Verpflichtungen haben und deshalb zeitlich nicht so flexibel sind. Oft kam ich zu spät zum Unterricht oder musste zu früh los, um ihn abzuholen.“ Im Anfängerkurs saß Samreen zusammen mit Menschen, die bereits Vorkenntnisse hatten. „Der Unterricht war von Anfang an nur auf Deutsch, da die meisten, die hier länger lebten, schon auf der Straße etwas Deutsch aufgeschnappt hatten. Ich verstand nur Bahnhof. Das blieb zwei Monate lang so - für mich reine Zeitverschwendung. Ich bin jetzt am Ende von A2 und kann immer noch nichts sagen. Was mir sehr hilft, ist am Abend mit YouTube Videos zu lernen, aber dafür habe ich nur selten Zeit“, erzählt Samreen auf Englisch.
Auch Ammar, ein 28-jähriger Informatiker aus Syrien, der mit seinem Masterabschluss und perfektem Englisch keine Scheu vorm Lernen hat, ist mit seinem Kurs nicht ganz zufrieden. „Es ist zwar wirklich schön, dass wir diese Möglichkeit haben, aber irgendwann wird es einem zu viel. A1 geht noch, aber ab A2 wird der Stoff so umfangreich, dass man den Überblick verliert. Jeder Unterricht bedeutet ein neues Grammatikthema und neuen Wortschatz. Wir haben keine Zeit, alles richtig zu lernen. Am Freitag vergesse ich schon, was wir am Montag gemacht haben. Deutsch zu lernen bedeutet für mich, Druck und stumpfsinnige Prüfungsvorbereitung. Außerhalb des Kurses benutzte ich fast nur Arabisch, weil ich weder Zeit, noch Energie habe, mich in den deutschen Alltag einzuleben.
“Der gleichen Meinung ist Tanja Henneberg, die an der Volkshochschule in Treptow unterrichtet. „Es ist einfach viel zu viel und zu schnell“, sagt sie, „Ich sehe, dass die Teilnehmenden den Stoff noch nicht richtig verinnerlicht haben, und dass immer noch Übungsbedarf besteht, aber da wir uns streng an das Curriculum halten müssen, sind wir trotzdem gezwungen, zwei Grammatikthemen an einem Tag zu machen.“ Bis zur Prüfung muss das Buch durchgearbeitet sein. Doch was bleibt vom erworbenen Wissen? Geht es bei den Integrationskursen nicht zuletzt um erleichterte Integration, also nicht nur den Spracherwerb allein?
Das meint vor allem die Schaffung von sozialen Netzwerken und einem guten Verständnis für die das Miteinander im Alltag. Beides lässt sich schwer im Klassenzimmer erwerben, sondern nur im realen Leben. „Das Soziale wird in den Integrationskursen leider ausgeblendet,“ so Tanja, „Das steife Buch ist fern jeder Realität und das strenge Curriculum lässt keinen Raum für praktische Tätigkeiten wie zum Beispiel Exkursionen oder Gesprächsrunden mit Personen, die von außen kommen wie Vertreter*innen von Beratungsstellen oder wichtigen Institutionen. Solche Unternehmungen erlauben den Teilnehmer*innen, sich Netzwerke aufzubauen, und geben ihnen das Gefühl, teilzuhaben“.
Von solchen Institutionen gibt es beispielsweise in Treptow-Köpenick einige: Migrationsberatung für Erwachsene (MBE) und der Jugendmigrationsdienst (JMD) beraten unter anderem zu Arbeit und Ausbildung, die Sozialfabrik vermittelt ehrenamtliche Geflüchtete in Ehrenamt, die bezirklichen Integrationslots*innen begleiten und sprachmitteln im Alltag, Nachbarschaftszentren haben ein reichhaltiges Angebot. InteraXion, ein Willkommensbüro in Treptow-Köpenick bietet Beratung rund um die Wohnungssuche und Angelegenheiten, die sich aus dem Alltag ergeben. Darüber hinaus gibt es neben thematischen Angeboten eine Vielzahl an lokalen Orten, die auch Migrant*innen und geflüchteten Menschen offenstehen und sie (nicht nur) mit Sprachcafés und Nachbarschaftstreffs willkommenheißen. Ironischerweise wissen viele von denen, an die sich diese Organisationen richten, nichts von deren Existenz. Im Klassenraum fehlt leider die Zeit, sich mit solchen Themen zu befassen.
Muss es aber so sein? Es mangelt nicht an Alternativen und eine wird sogar von BaMF selbst angeboten. Neben den Integrationskursen, die für Ausländer*innen mit Aufenthaltstitel konzipiert sind, werden auch Flüchtlingskurse für Asylbewerber und Geduldete mit guter Bleibeperspektive organisiert, die ohne den Abschlussprüfung ablaufen. „In Flüchtlingskursen sind die Gruppen ebenso heterogen, aber da wir unter keinen Zeitdruck stehen, kann die Binnendifferenzierung richtig gewährleistet werden. Wir haben auch Kapazitäten, Exkursionen zu veranstalten, um den Teilnehmern zu zeigen, welche Möglichkeiten auf sie außerhalb des Kurses warten“ erzählt Tanja. „In diesen Kursen herrscht auch bessere Gruppendynamik und die Motivation der Teilnehmer ist wesentlich höher“.
Gute Kultur- und Sprachkenntnisse leben von ihrer Anwendung. Die künstliche Attrappe der deutschen Gesellschaft, die aus den Kursbüchern hervorgeht, kann dies nicht bieten. Hinzu kommt, dass Kurse oft zu anspruchsvoll sind, um für praktische Nebentätigkeiten Zeit zu lassen. Die Bedürfnisse der Teilnehmer*innen sind vielfältig. Ein Handwerker braucht andere Vokabeln als eine Gründerin, die gerade dabei ist, ihre Geschäftsidee zu konzipieren und sich im Steuerrecht zu belesen. Eine alleinerziehende Mutter mit drei Kindern hat ganz andere Möglichkeiten, das Lernen einer neuen Sprache mit der Erziehung ihrer Kinder zu vereinbaren als ein 22-jähriger Student, der im nächsten Jahr sein Masterstudium beginnen wird. Deswegen sollte mach sich überlegen, ob 20 Unterrichtseinheiten pro Woche pauschal für alle wirklich Sinn ergeben. Vielleicht wäre ein begleitender Abendkurs, der Raum für einen Nebenjob oder ehrenamtliche Tätigkeit lässt, für manche Teilnehmer viel praktischer? Integration bedeutet, sich in der neuen Heimat wohl zu fühlen und den eigenen Platz in der neuen Gesellschaft zu finden. Der Weg dahin braucht Zeit und die Freiheit, Umwege zu gehen.
Xenia studiert Arabistik an der Freien Universität Berlin und unterrichtet Deutsch als Fremdsprache. Ihre Interessen liegen in der Multikulturalität, Kunst und Spiritualität. Das Schreiben war von Kindesbein an ihre große Leidenschaft und ihre Hauptthemen sind Kultur und Gesellschaft. Aufgewachsen ist Xenia in einem kleinen polnischen Dorf. Von dort wanderte sie mit 18 nach Italien aus. Jetzt ist Berlin ihr neues Zuhause.
Xenia studies Arabic Studies at the Free University Berlin and teaches German as a second language. Her Interests are multiculturality, art and spirituality. Writing was all along one of her greatest passions and her main subjects are culture and society. She was born and raised in a little village in Poland until she left to Italy at the age of 18. Now she regards Berlin her new home.